Allenthalben wird Israel Apartheid vorgeworfen. Das Urteil des Obersten Gerichts gegen die Justizreform zeigt, wie platt diese Anschuldigungen sind. Ein Kommentar
Es war ein großer Paukenschlag, mit dem das Oberste Gericht in Israel das neue Jahr eröffnete: Der einzige bisher tatsächlich verabschiedete Teil der so umstrittenen Justizreform ist per Urteil vom Montag nichtig. Man könnte diesen bemerkenswerten Vorgang in vielerlei Hinsicht kommentieren.
Wie konnten es die Richter mit ihrem Gewissen vereinbaren, diese Entscheidung ausgerechnet jetzt, mitten im Krieg zu treffen? Oder auch: Zeigt die äußerst knappe Entscheidung (8 zu 7 Stimmen) nicht, dass die Reform auch aus juristisch-nüchterner Perspektive komplexer zu beurteilen ist, als es uns all‘ die Verfechter der Eindeutigkeit (eindeutig korrupt, eindeutig demokratiegefährdend, eindeutig nur für Netanjahu gemacht) weismachen wollen? Und: Muss man der rechten Regierungskoalition nicht attestieren, bemerkenswert zurückhaltend auf das für sie provozierende Urteil reagiert zu haben?
Die entscheidende Stimme
Ich möchte an dieser Stelle aber einen weiteren, wirklich bemerkenswerten Aspekt zu der ihm gebührenden Aufmerksamkeit verhelfen. Wie geschrieben, wurde das Urteil nur mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit gefällt. Das bedeutet: Jeder einzelne der acht Richter, die sich dahinter gestellt haben, war für das Zustandekommen des Urteils entscheidend. Hätte nur einer von ihnen sich umentschieden, wäre das Urteil so nicht entstanden.
Einer dieser Richter ist Chaled Kabub. 100 Absätze hat er zu dem voluminösen Grundsatzurteil beigetragen. Kabub ist – israelischer Araber. Moslem sogar. Geboren in Jaffa. Er hat an der Uni Tel Aviv studiert, war eine Zeitlang Vizepräsident des Tel Aviver Bezirksgerichts. 2022 wurde er vom Richterwahlkomitee gewählt. Er ist der erste muslimische Jurist, der regulär auf einem Stuhl im Obersten Gericht in Jerusalem sitzt.
Vielschichtiger als erwünscht
Soll heißen: Ein arabischer Moslem war entscheidend dafür, dass ein Teil des wohl umstrittensten Gesetzesvorhabens in der Geschichte des jüdischen Staates nicht zustande kommt. Ein Gesetzesvorhaben, das nicht belanglos ist, sondern hinter dem sich ein Kampf um Israels Identität versteckt. Das sei all‘ jenen ins Stammbuch geschrieben, die Israel mit zunehmender Penetranz „Apartheid“ vorwerfen und dies längst nicht mehr nur auf das Westjordanland, sondern auf Israel insgesamt beziehen.
Ja, Israel kämpft seit seiner Gründung mit der Spannung, die zwischen seiner jüdischen und seiner demokratischen Identität zweifelsohne existiert. Schon den Staatsgründern bereitete dieses Problem Kopfzerbrechen. Aber am Ende ist die Sache eben doch komplexer und vielschichtiger, als es die vielen eifrigen „Israel-Kritiker“ wahrhaben wollen. (Sandro Serafin/Israelnetz)